BGH, Urteil v. 6.6.2013 – I ZR 2/12 – Pflichtangaben im Internet

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

I ZR 2/12

Verkündet am: 6. Juni 2013

Pflichtangaben im Internet

HeilmittelwerbeG § 4 Abs. 1, 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1

Eine Google-Adwords-Anzeige für ein Arzneimittel verstößt nicht allein deshalb gegen § 4 HWG, weil die Pflichtangaben nicht in der Anzeige selbst enthalten sind. Es ist vielmehr ausreichend, dass die Anzeige einen eindeutig als solchen klar erkennbaren elektronischen Verweis enthält, der unzweideutig darauf hinweist, dass der Nutzer über ihn zu den Pflichtangaben gelangt; der elektronische Verweis muss zu einer Internetseite führen, auf der die Pflichtangaben unmittelbar, das heißt ohne weitere Zwischenschritte leicht lesbar wahrgenommen werden können.

BGH, Urteil vom 6. Juni 2013 – I ZR 2/12 – LG Köln

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm und die Richter Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff, Dr. Koch und Dr. Löffler

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 1. Dezember 2011 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist der Verband Sozialer Wettbewerb e.V. Die Beklagte stellt her und vertreibt Arzneimittel. Sie warb auf der Internetseite der Suchmaschine Google für ihr Arzneimittel S. mit den folgenden Adwords-Anzeigen:

Bei entzündeten Atemwegen

Kleine Kapsel – große Wirkung.

S. bekämpft die Entzündung

Bei entzündeten Atemwegen

Kleine Kapsel – große Wirkung.

S. bekämpft die Entzündung

www. .de/Pflichttext_hier

Die Überschriften der Anzeigen waren als elektronische Verweise (Links) ausgestaltet, über die der Suchmaschinenbenutzer mit einem Klick auf die Internetseite der Beklagten gelangen konnte. Auf dieser konnte der Nutzer nach mehrfachem Scrollen die Bezeichnung des Arzneimittels, die Angabe seiner Anwendungsgebiete und den Zusatz “Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker” auffinden.

Der Kläger hält die Werbung der Beklagten für wettbewerbswidrig, weil die gemäß § 4 HWG erforderlichen Pflichtangaben nicht in der Anzeige selbst enthalten seien. Im Hinblick auf die zweite angegriffene Anzeige hat er sein Begehren hilfsweise darauf gestützt, dass die Angabe „www. .de/ Pflichttext_hier“ nicht als Link ausgestaltet war und auch die Eingabe dieser Pfadangabe in die Adressleiste eines Internetbrowsers nicht unmittelbar zu den Pflichtangaben führte.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel „S. Kapseln“ mit sogenannten Google AdWord-Anzeigen wie nachstehend wiedergegeben zu werben:

Bei entzündeten Atemwegen

Kleine Kapsel – große Wirkung.

S. bekämpft die Entzündung

und/oder

Bei entzündeten Atemwegen

Kleine Kapsel – große Wirkung.

S. bekämpft die Entzündung

www. .de/Pflichttext_hier

Mit ihrer Sprungrevision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das Landgericht hat den Unterlassungsantrag als nach §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 4 HWG für begründet erachtet. Es hat hierzu ausgeführt:

Die Anzeigen der Beklagten genügten nicht dem in § 4 HWG geregelten Gebot, in jeder Werbung für ein Arzneimittel außerhalb der Fachkreise zumindest seine Bezeichnung, seine Anwendungsgebiete und den Zusatz “Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker” anzugeben. Bei einer Internetwerbung, die sich nicht an Fachkreise richte, setze die Erfüllung dieses Gebots voraus, dass die Pflichtangabe auf der Internetseite oder wenn es sich wie vorliegend um eine bloße Werbeanzeige auf einer Internetseite handelt in der Anzeige selbst aufgeführt werde.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Abs. 3 Satz 1 und 3, Abs. 4 HWG zusteht.

1. Das in § 4 HWG geregelte Gebot, in der Werbung für Arzneimittel Pflichtangaben zu machen, dient in erster Hinsicht dem Schutz der gesundheitlichen Interessen der Verbraucher und ist dementsprechend dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 I ZR 100/04, GRUR 2009, 509 Rn. 24 = WRP 2009, 625 Schoenenberger Artischockensaft; Urteil vom 26. März 2009 I ZR 213/06, BGHZ 180, 355 Rn. 27 ff. Festbetragsfestsetzung).

2. Wie sich aus dem Schutzzweck des § 4 HWG ergibt, steht der Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG im Streitfall nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, die in ihrem Anwendungsbereich eine vollständige Harmonisierung des Lauterkeitsrechts bezweckt und die Frage der Unlauterkeit von Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern abschließend regelt, keinen dieser Vorschrift vergleichbaren Unlauterkeitstatbestand kennt. Gemäß Art. 3 Abs. 3 und Erwägungsgrund 9 lässt diese Richtlinie die Rechtsvorschriften der Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 2011 I ZR 96/10, GRUR 2012, 647 Rn. 11 = WRP 2012, 705 INJECTIO, mwN).

3. Die beanstandeten Anzeigen verstoßen gegen § 4 HWG.

a) Gemäß § 4 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 3 HWG müssen in der Werbung für Arzneimittel außerhalb der Fachkreise die Bezeichnung des Arzneimittels und seine Anwendungsgebiete angegeben werden. Nach § 4 Abs. 4 HWG müssen diese Angaben von den übrigen Werbeaussagen deutlich abgesetzt, abgegrenzt und gut lesbar sein. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 HWG ist zudem der Text “Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker” gut lesbar und von den übrigen Werbeaussagen deutlich abgesetzt und abgegrenzt anzugeben.

b) Das Landgericht hat im Ergebnis mit Recht angenommen, dass die im Streitfall angegriffene Werbung der Beklagten diesen Anforderungen nicht genügt.

aa) Die Anzeigen der Beklagten, bei denen es sich um eine Werbung für ein Arzneimittel außerhalb der Fachkreise im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 HWG handelt, verstoßen allerdings entgegen der Beurteilung des Landgerichts nicht bereits deshalb gegen § 4 HWG, weil die Pflichtangaben nicht in den Google-Adwords-Anzeigen selbst enthalten sind. Es ist vielmehr ausreichend, wenn die Pflichtangaben mittels eines elektronischen Verweises in der Adwords-Anzeige zugänglich gemacht werden.

(1) Ob es den Anforderungen an § 4 HWG genügt, wenn die in dieser Vorschrift verlangten Pflichtangaben bei einer Arzneimittelwerbung im Internet nicht auf der Webseite oder in der Anzeige selbst aufgeführt sind, sondern mittels eines dort vorhandenen elektronischen Verweises aufgerufen werden können, bestimmt sich maßgeblich nach Sinn und Zweck des § 4 HWG. Dieser besteht darin, den Verbraucher vollständig über bestimmte medizinisch relevante Merkmale eines Arzneimittels und insbesondere über dessen Indikationen und Wirkungsweise zu informieren und ihn dadurch in die Lage zu versetzen, sich über das jeweilige Präparat vor einem Kaufentschluss ein sachbezogenes Bild zu machen (BGH, Urteil vom 29. April 2010 I ZR 202/07, GRUR 2010, 749 Rn. 29 Erinnerungswerbung im Internet, mwN). Dies setzt zunächst voraus, dass die Pflichtangaben, die vom Gesetzgeber als notwendiges Gegengewicht und Korrektiv zu regelmäßig nur positiven Werbeaussagen gedacht sind, vom Werbeadressaten als sachlich informativer Teil der Gesamtwerbung erkannt werden. Darüber hinaus erfordert die Gewährleistung der vom Gesetzgeber beabsichtigten Gesamtinformation insbesondere, dass die Wahrnehmung der Pflichtangaben dem Leser keinen zusätzlichen Aufwand oder besonderen Einsatz abfordert; denn nach der Lebenserfahrung wird ein erheblicher Teil der Angesprochenen eine für die nähere Wahrnehmung erforderliche Mühe scheuen und sich auf das Lesen des vom Werbenden ausgesuchten regelmäßig auffälliger und leicht lesbar gestalteten positiven Teils der Werbung beschränken.

Grundsätzlich sind daher Maßnahmen, mit denen dem Leser die – mit der Forderung „gut lesbar“ gemeinte – leichte Wahrnehmung der Pflichtangaben erschwert wird, mit dem Schutzzweck des Gesetzes unvereinbar (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1990 I ZR 206/88, GRUR 1991, 859, 860 Leserichtung bei Pflichtangaben). Es gilt das Erfordernis, dass die Pflichtangaben ohne besondere Konzentration und Anstrengung wahrgenommen werden können (BGH, Beschluss vom 18. April 1996 I ZR 108/93, NJWE-WettbR, 1996, 265).

(2) Bei der Bestimmung dessen, was ohne besondere Konzentration und Anstrengung wahrgenommen werden kann, sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls maßgebend, namentlich die Besonderheiten des Werbemediums. Bei einer Werbung im Internet ist zu berücksichtigen, dass der durchschnittliche Nutzer mit den Besonderheiten des Internets vertraut ist; er weiß, dass Informationen zu angebotenen Waren auf mehrere Seiten verteilt sein können, die untereinander durch elektronische Verweise („Links“) verbunden sind (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 I ZR 143/04, GRUR 2008, 84 Rn. 30 = WRP 2008, 98 Versandkosten) und vom Nutzer unschwer durch einfachen Mausklick aufgesucht werden können. Dabei wird der Verkehr insbesondere diejenigen Internetseiten als zusammengehörig auffassen, die er zur Information über die von ihm ins Auge gefasste Ware benötigt oder zu denen er durch Links oder durch klare und unmissverständliche Hinweise auf ihre inhaltliche Verbundenheit geführt wird (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2004 I ZR 222/02, GRUR 2005, 438, 441 = WRP 2005, 480 Epson-Tinte; Urteil vom 7. April 2005 I ZR 314/02, GRUR 2005, 690, 692 = WRP 2005, 886 Internet-Versandhandel; Urteil vom 20. Juli 2006 I ZR 228/03, GRUR 2007, 159 Rn. 19 ff. = WRP 2006, 1507 Anbieterkennzeichnung im Internet). Zu berücksichtigen ist ferner die Besonderheit von Adwords-Anzeigen auf der Internetseite des Suchmaschinenbetreibers Google. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie regelmäßig nur schlagwortartige werbliche Kurzangaben enthalten, die ähnlich einer Überschrift dazu einladen, den in der Anzeige enthaltenen Link zu benutzen, um ausführlichere Informationen zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 I ZR 119/10, GRUR 2012, 81 Rn. 14 f. = WRP 2012, 962 Innerhalb 24 Stunden).

(3) Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, dass es den Anforderungen des § 4 Abs. 3 und 4 HWG genügt, wenn eine Adwords-Anzeige für ein Arzneimittel einen eindeutig als solchen klar erkennbaren elektronischen Verweis enthält, der unzweideutig darauf hinweist, dass der Nutzer über ihn zu den Pflichtangaben gelangt, und der auch tatsächlich zu einer Internetseite führt, auf der die Pflichtangaben unmittelbar, das heißt ohne weitere Zwischenschritte leicht lesbar wahrgenommen werden können (vgl. Brixius in Bülow/Ring/Artz/Brixius, HWG, 4. Aufl., § 4 Rn. 139; Reinhart in Gröning, Heilmittelwerberecht, 2009, § 4 HWG Rn. 103; v. Czettritz, PharmR 2004, 22; Reese, PharmR 2004, 269; Dierks/Backmann, PharmR 2011, 257, 260; für Werbung gegenüber Fachkreisen ebenso KG, PharmR 2004, 23, 24; Mand in Prütting, Fachanwaltskommentar Medizinrecht, 2. Aufl., § 4 HWG Rn. 60; aA Doepner, HWG, 2. Aufl., § 4 Rn. 69; Ernst, PharmR 1998, 195, 199; Riegger, Heilmittelwerberecht, 2009, § 4 HWG Rn. 20). Dies kann dadurch geschehen, dass der elektronische Verweis unmittelbar, das heißt ohne weitere Mausklicks zur einer Internetseite führt, auf der sich allein die Pflichtangaben befinden. In diesem Fall ist es unschädlich, wenn die Pflichtangaben wegen der Größe des vom Verbraucher benutzten Bildschirms nur durch Scrollen vollständig wahrgenommen werden können. Enthält die Internetseite dagegen noch weitere Inhalte, ist das Unmittelbarkeitskriterium nur dann erfüllt, wenn der elektronische Verweis den Verbraucher direkt zu der Stelle der Seite führt, wo sich die Pflichtangaben befinden. Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn der Verbraucher lediglich die Möglichkeit hat, auf der verlinkten Seite durch Scrollen die Pflichtangaben aufzusuchen.

bb) Im Streitfall sind die Voraussetzungen der zulässigen Pflichtangaben durch Verlinkung nicht erfüllt.

In der ersten der beiden angegriffenen Anzeigen fehlt es bereits an einem klar erkennbaren elektronischen Verweis, der unzweideutig darauf hinweist, dass der Nutzer über ihn zu den Pflichtangaben gelangen kann. Dass die Überschrift „Bei entzündeten Atemwegen“ als Link ausgestaltet war, genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Begriff „Pflichtangaben“ oder eine entsprechend eindeutige Formulierung in der Anzeige selbst verwendet wird. In der zweiten Anzeige erfüllt die Angabe „www. .de/Pflichttext_hier“ zwar inhaltlich die Anforderungen an einen unzweideutigen Hinweis. Allerdings war diese Angabe im Streitfall nach den getroffenen Feststellungen nicht als elektronischer Verweis ausgestaltet, so dass sie bereits deshalb nicht geeignet war, dem Verbraucher die Wahrnehmung der Pflichtangaben ohne besonderen Aufwand zu ermöglichen.

4. Im Streitfall ist keine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union veranlasst. Nach den vorstehenden Ausführungen bestehen hinsichtlich der Auslegung der Richtlinie 2001/83/EG keine vernünftigen Zweifel (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 CILFIT). Art. 89 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG lässt Raum für eine nationale Regelung, nach der die Bezeichnung des Arzneimittels, der Anwendungsgebiete und die gut erkennbare Pflichtangabe im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 HWG in einer Publikumswerbung erforderlich ist (vgl. BGH, GRUR 2009, 509 Rn. 13 Schoenenberger Artischockensaft; BGHZ 180, 355 Rn. 31 Festbetragsfestsetzung). Auf die Frage, ob das weitere formale Erfordernis gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 HWG, wonach die Pflichtangaben von den übrigen Werbeaussagen deutlich abgesetzt und abgegrenzt erfolgen müssen, seine Grundlage in der Richtlinie 2001/83/EG hat (vgl. dazu Brixius in Bülow/Ring/Artz/Brixius aaO § 4 Rn. 125 f. mwN), kommt es im Streitfall nicht an. Die Bestimmung des § 4 HWG unterliegt auch im Blick auf Art. 34 und 36 AEUV sowie im Hinblick auf verfassungsrechtliche Bestimmungen keinen Bedenken (BGH, GRUR 2009, 509 Rn. 13 f. Schoenenberger Artischockensaft).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Bornkamm Schaffert Kirchhoff

Koch Löffler

Vorinstanz:

LG Köln, Entscheidung vom 01.12.2011 – 31 O 268/11