BGH, Urteil v. 23.11.00 – I ZR 130/98 – NetCom

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

I ZR 130/98

Verkündet am: 23. November 2000

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Starck, Dr. Büscher und Dr. Schaffert für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 23. April 1998 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist seit Anfang des Jahres 1987 unter ihrer Firma NetCom Sicherheitstechnik GmbH im Handelsregister eingetragen. Ihr Unternehmensgegenstand ist der An-/Verkauf elektronischer Geräte, Programme und Einrichtungen im überwachungs- und sicherheitstechnischen Bereich sowie die entsprechende Schulung und Beratung.

Der Beklagte betreibt seit Mitte 1995 unter seiner seit Dezember 1996 im Handelsregister eingetragenen Firma „NetKomm Dipl.-Ing. R. “ ein Unternehmen, das sich in erster Linie mit der Installation von Netzwerken und dem Vertrieb von Einzelplatzsystemen einschließlich Hardware befaßt. Die Klägerin hat den Beklagten wegen der Benutzung der Bezeichnung „NetKomm“ u.a. auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Sie hat dazu behauptet, sie habe sich auf Leitstellen und Netzwerktechnologie spezialisiert; sie plane und entwickle Leitstellen und Netzwerkkonzepte sowie Fremdrechneranbindungen auf Computerbasis entsprechend dem Stand der Technik, wobei sie über ganz Deutschland verstreut eine Vielzahl von Großkunden geworben habe. Neben der Installation und Anpassung von Netzwerken sei sie seit einigen Jahren mit der Entwicklung und dem Vertrieb von Kommunikationsrechnern und Software befaßt und biete für diesen Bereich auch Schulungen an. Bei ihrer Tätigkeit überschneide sie sich mit den Leistungen des Beklagten räumlich und sachlich. Unter ihrem Firmenbestandteil „NetCom“ habe sie Verkehrsgeltung erlangt.

Das Landgericht hat der Klage mit dem Unterlassungsantrag entsprochen.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben.

Das Berufungsgericht hat den Beklagten unter Neufassung des Tenors verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr und bei seiner Werbung die Bezeichnung „NetKomm“ für sich allein oder in der Firma „NetKomm Dipl.-Ing. R. “ zu verwenden.

Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß dem Bestandteil „NetCom“ in der Firma der Klägerin die für einen Schutz erforderliche Unterscheidungskraft zukomme und die vom Beklagten verwendete Bezeichnung „NetKomm“ in Alleinstellung und in seiner Gesamtfirma mit der Kennzeichnung der Klägerin verwechselbar sei. Es hat dazu ausgeführt: Die kennzeichenrechtliche Verwechslungsgefahr i.S. von § 15 Abs. 2 MarkenG beurteile sich nach dem Bekanntheitsgrad der Klagebezeichnung, dem Ähnlichkeitsgrad der einander gegenüberstehenden Bezeichnungen und dem wirtschaftlichen Abstand der beiderseitigen Tätigkeitsgebiete, wobei im Streitfall die klangliche Identität der einander gegenüberstehenden Kennzeichnungsbestandteile sowie die zwischen den Parteien bestehende Branchennähe den Ausschlag für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr gäben. Selbst wenn dem Klagezeichen zugunsten des Beklagten nur eine schwache namensmäßige Unterscheidungskraft und ein Bekanntheitsgrad unterhalb der Grenze der Verkehrsgeltung zugebilligt werde, liege Verwechslungsgefahr vor, weil zur klanglichen Ähnlichkeit ein geringer wirtschaftlicher Abstand zwischen den Tätigkeitsgebieten der Parteien hinzutrete. Beide seien auf dem Gebiet der Netzwerktechnik tätig, deren Gegenstand in der zumindest systeminternen Verknüpfung von verschiedenen Einheiten eines Computersystems zwecks Erfassung, Übertragung und Verarbeitung von Informationen bestehe. Auch wenn die so umschriebene Netzwerktechnik, innerhalb der sich der Tätigkeitsbereich beider Parteien bewege, weiter in einzelne Sparten aufgegliedert werde, lägen die Netzwerkerstellung und Installation, wie sie der Beklagte betreibe, und die von ihm als Signalverarbeitung und -visualisierung innerhalb von Signalnetzen gekennzeichnete Tätigkeit der Klägerin nicht derart weit auseinander, daß Berührungspunkte von vornherein ausschieden.

Das gelte selbst dann, wenn angenommen werde, daß es bei dem von der Klägerin teilweise praktizierten Beistellen von Hardware-Komponenten lediglich um Überschneidungen im Zubehörbereich gehe, die für sich allein die erforderliche Ähnlichkeit zwischen den in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen nicht herbeiführen könnten. Selbst dann, wenn sich ein Anbieter auf dem Gebiet der Netzwerktechnik auf einen bestimmten Anwendungsbereich spezialisiert habe, erwarte der Verkehr nämlich nicht, daß die Spezialisierung ein für allemal beibehalten werde und die Sparten sich deshalb strikt trennen ließen. In die Beurteilung sei vielmehr einzubeziehen, daß eine Verwechslungsgefahr bereits dann bestehe, wenn die mit einer verwechselbaren Kennzeichnung versehenen Waren und Dienstleistungen denen des Inhabers der prioritätsälteren Kennzeichnung derart nahestünden, daß zumindest ein nicht unerheblicher Teil des Verkehrs veranlaßt werde, angesichts der Ähnlichkeit der Bezeichnungen zugleich auf eine Herkunft der Waren aus demselben Betrieb oder wenigstens auf das Bestehen irgendwelcher geschäftlicher Zusammenhänge mit dem Unternehmen des Inhabers der Klagekennzeichnung zu schließen. Ein derartiges Übergreifen auf andere Gebiete der Netzwerktechnik, sei es durch eigene Tätigkeitsausweitung oder durch Einschaltung gesellschaftsrechtlich verbundener Unternehmen, liege auch im vorliegenden Fall auf der Hand, zumal häufig das auf einem Marktsegment gewonnene Know-how auf andere Segmente übertragbar sei und/oder Kunden häufig sogar spartenoder systemübergreifende Netzwerklösungen erwarteten. Entsprechende Tätigkeitsausweitungen stellten deshalb nicht selten naheliegende Sortimentsabrundungen dar, so daß jedenfalls ein nicht nur unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs zumindest auf das Bestehen irgendwelcher geschäftlicher Zusammenhänge zwischen den Unternehmen der Parteien schließe und sie auf diese Weise miteinander in Berührung bringe.

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Annahme einer Verwechslungsgefahr i.S. von § 15 Abs. 2 MarkenG ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend von einer Wechselwirkung der für die Verwechslungsgefahr maßgeblichen Faktoren, dem Bekanntheitsgrad der Klagekennzeichnung, dem Ähnlichkeitsgrad der einander gegenüberstehenden Bezeichnungen und dem wirtschaftlichen Abstand der beiderseitigen Tätigkeitsgebiete (Branchennähe) ausgegangen. Es hätte aber die Branchennähe zwischen den Parteien auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht bejahen dürfen.

1. Das Berufungsgericht hat zutreffend und von der Revision unbeanstandet den von der Klägerin verwendeten Firmenbestandteil „NetCom“ als schutzfähig i.S. von § 15 Abs. 2 MarkenG angesehen, da er über eine hinreichende Unterscheidungskraft verfüge. Auch die Annahme, daß der Gesamteindruck der Unternehmenskennzeichnung der Klägerin durch diesen Bestandteil geprägt werde, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

2. Zur Kennzeichnungskraft der Bezeichnung der Klägerin hat das Berufungsgericht Feststellungen nicht getroffen. Es hat mit der Annahme einer Kennzeichnungskraft unterhalb von Verkehrsgeltung normale Kennzeichnungskraft unterstellt. Hiervon ist auch in der Revisionsinstanz auszugehen. Das Berufungsgericht ist auch zutreffend und von der Revision unbeanstandet von klanglicher Identität der einander gegenüberstehenden Bezeichnungen ausgegangen.

3. Die Annahme einer Branchennähe zwischen den Tätigkeitsbereichen der Parteien wird von den bislang getroffenen Feststellungen nicht getragen.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht eine Branchennähe nicht bereits deswegen bejaht, weil sich beide Parteien mit elektronischer Datenverarbeitung befassen; denn mit Blick auf die Vielfältigkeit der verschiedenen Waren und Leistungen, die in diesem Bereich angeboten werden, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, daß sich die Parteien allein wegen des Bezugs zur Datenverarbeitung in einem ins Gewicht fallenden Umfang am Markt begegnen (BGH, Urt. v. 21.11.1996 – I ZR 149/94, GRUR 1997, 468, 470 = WRP 1997, 1093 – NetCom).

In nicht zu beanstandender Weise ist das Berufungsgericht des weiteren davon ausgegangen, daß auch die Tätigkeit der Parteien auf dem Gebiet der Netzwerktechnik, deren Gegenstand in der systeminternen Verknüpfung verschiedener Einheiten eines Computersystems zur Erfassung, Übertragung und Verarbeitung von Informationen besteht, die Annahme einer Branchennähe noch nicht rechtfertigt.

Das Berufungsgericht hat zugunsten des Beklagten angenommen, daß es sich auch bei dem von der Klägerin teilweise praktizierten Beistellen von Hardware-Komponenten im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit lediglich um Überschneidungen im Zubehörbereich handele, die für sich allein die erforderliche Ähnlichkeit zwischen den in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen für die Annahme einer Branchennähe nicht herbeiführen könnten. Hiervon ist auch in der Revisionsinstanz auszugehen.

b) Seine Annahme einer Branchennähe hat das Berufungsgericht damit begründet, daß sich die Klägerin zwar im Gebiet der Netzwerktechnik auf einen bestimmten Anwendungsbereich, nämlich die Sicherheitstechnik, spezialisiert habe, der Verkehr jedoch nicht erwarte, daß diese Spezialisierung ein für allemal beibehalten werde und die Sparten sich deshalb nicht strikt trennen ließen. Dieser die Beurteilung tragende Aspekt einer möglichen Tätigkeitsausweitung der Klägerin oder einer Einschaltung gesellschaftsrechtlich verbundener Unternehmen beruht auf keiner ausreichenden tatsächlichen Grundlage.

Es ist zwar anerkannt, daß für die Nähe der Tätigkeitsbereiche zweier Unternehmen nicht allein deren Betätigung im Beurteilungszeitraum maßgeblich ist. Vielmehr sind dabei auch künftige sachliche Ausweitungen zu berücksichtigen, sofern es sich insoweit um eine reale, nicht nur ganz theoretische oder aus bestimmten Gründen fernliegende Möglichkeit handelt (vgl. BGH, Urt. v. 9.2.1984 – I ZR 11/82, GRUR 1984, 471, 473 = WRP 1984, 323 – Gabor/Caber; Urt. v. 26.9.1985 – I ZR 181/83, GRUR 1986, 253, 256 = WRP 1986, 82 – Zentis; Urt. v. 21.3.1991 – I ZR 111/89, GRUR 1991, 863, 865 = WRP 1991, 568 – Avon, insoweit in BGHZ 114, 105 nicht abgedruckt).

Das Berufungsgericht hat aber bei seiner Beurteilung im Streitfall nicht hinreichend berücksichtigt, daß eine langjährige Ausrichtung eines Unternehmens auf den Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen einer sehr spezifischen Art, wie sie nach den unangegriffenen Feststellungen von der Klägerin praktiziert wird, nicht geeignet ist, Verkehrsvorstellungen über mögliche Ausweitungen in andere Vertriebsbereiche zu wecken, und es deshalb besonderer tatsächlicher Anhaltspunkte bedarf, um im Fall eines Unternehmens wie der Klägerin, die zudem die Angabe der spezialisierten Ausrichtung in ihrer Firma führt, eine Ausweitungstendenz zugrunde zu legen. Feststellungen in dieser Richtung hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

Es entspricht auch nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, daß ein spezialisiertes Unternehmen, wie es die Klägerin ist, seine Tätigkeit nicht nur auf ein anderes, etwa naheliegendes weiteres Spezialgebiet ausweitet, sondern sich etwa in das Gebiet der Netzwerktechnik im ganz allgemeinen Sinn hineinentwickelt. Demgemäß hätte das Berufungsgericht auch nicht davon ausgehen dürfen, daß eine Tätigkeitsausweitung deshalb nicht fernliege, weil ein auf einem Marktsegment gewonnenes Know-how auf andere Segmente übertragbar sei und Kunden häufig sogar sparten- oder systemübergreifende Netzwerklösungen erwarteten. In diesem Sinn kann das Tätigkeitsfeld der Klägerin nicht als Marktsegment neben dem ganz allgemeinen und weitreichenden Gebiet der Netzwerktechnik angesehen werden; das spezielle Know-how der Klägerin wird sich erfahrungsgemäß vielmehr in ihrem eigenen Spezialbereich bilden und auf andere Marktbereiche nicht ohne weiteres übertragbar sein.

c) Das Berufungsgericht hätte für die Annahme einer Branchennähe aufgrund des konkreten Sachvortrags der Parteien prüfen müssen, ob das Waren- und Dienstleistungsangebot der Parteien trotz des bestehenden Abstands zwischen der Entwicklung und dem Verkauf von Sicherheitstechnik auf der Seite der Klägerin und der Erstellung von Netzwerklösungen auf der des Beklagten noch eine relevante Verwechslung der beiden Bezeichnungen erwarten läßt. Das Berufungsgericht hätte in diesem Zusammenhang dem unter Beweis gestellten Vortrag des Beklagten nachgehen müssen, ein Vergleich der Netzwerksysteme der Parteien zeige, daß die Klägerin nur solche Systeme installiere und vertreibe, die einseitig kommunizierten, d.h. Meldungen von einer Stelle an eine Wachstation übermittelten, während die vom Beklagten installierten und vertriebenen Netzwerksysteme zweiseitig, d.h. per Meldung und Rückmeldung an die Ausgangsstation arbeiteten. Dagegen hat die Klägerin geltend gemacht, ihr Tätigkeitsbereich sei die Erstellung von Gesamt- wie auch Teilkonzepten innerhalb von Netzwerken; das Besondere an ihrer Leistung sei, daß sie jede beliebige bereits vorhandene Hard- und Software eines Kunden in das individuell zu erstellende System integrieren könne. Dabei übernehme die Klägerin von der Aussendung des Signals bei der Meldestelle, der Übertragung, der Annahme und Umwandlung für die Leitstelle bis zu deren Verarbeitung je nach Bedarf des Kunden sämtliche Einrichtungen; es würden Computersysteme sowohl mit Hardware als auch mit Software installiert.

III. Die Klage ist auch nicht aus anderen Gründen abweisungsreif. Ohne Erfolg bezieht sich die Revision auf den in erster Instanz vom Beklagten vorgebrachten Einwand, daß die prioritätsälteren Rechte an dem Namensbestandteil „NetCom“ nicht der Klägerin, sondern einer Firma NetCom Datentechnik GmbH zustünden, deren Geschäftsführer nach einer entsprechenden Vereinbarung nichts gegen eine Benutzung des Namensbestandteils „NetKomm“ durch den Beklagten einzuwenden habe. Diesen Vortrag hat der Beklagte in der Berufungsinstanz nicht mehr aufgegriffen, sondern seine Berufungsbegründung allein auf die Angriffe gegen die Annahme einer Branchennähe durch das Landgericht gerichtet. Hiervon ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen.

Die Revision macht nicht geltend, daß diese Annahme des Berufungsgerichts von Rechtsfehlern beeinflußt sei. Allein die Tatsache, daß das Berufungsgericht sich mit dem Einwand auch sachlich auseinandergesetzt hat, macht die Wiederaufnahme des erstinstanzlichen Tatsachenvortrags durch den Beklagten in der Revisionsinstanz nicht zulässig (BGHZ 35, 103, 106 f.).

Der Einwand könnte auch keinen Erfolg haben. Der Beklagte hat schon nicht geltend gemacht, daß ihm der Geschäftsführer der vorgenannten Gesellschaft die Verwendung der angegriffenen Bezeichnung in der Art einer Lizenz gestattet hätte. Die geltend gemachte Vereinbarung bezog sich nach dem Vortrag des Beklagten lediglich darauf, daß der Geschäftsführer gegen die Verwendung der Bezeichnung des Beklagten keine Einwände aus einem eigenen Kennzeichnungsrecht erheben werde. Damit ist aber ein gegenüber Dritten wirkendes Recht nicht übertragen worden (vgl. BGH, Urt. v. 13.4.2000 – I ZR 220/97, WRP 2000, 1296, 1298 – SUBWAY/Subwear).

IV. Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.